Artikel

Wir sind die Kinder Fidels

Mitglieder der kubanischen medizinischen Brigade Henry Reeve, die in Turin COVID-19 bekämpften. Foto: Autor
Mitglieder der kubanischen medizinischen Brigade Henry Reeve, die in Turin COVID-19 bekämpften. Foto: Autor

Datum: 

12/07/2020

Quelle: 

Granma International

Autor: 

Das Szenario war eine riesige überdachte oder auch nicht überdachte Plattform. Das hing, davon ab, wie man es betrachtete, denn das Dach war so hoch, dass es fast in den Himmel reichte und es gab keine Wände sondern nur Säulen aus Eisen. Der Schauplatz ist eine zentral gelegene Zone Turins, eine ehemalige Stahlgießerei, die man in einen Park verwandelt hat. An diesem Sonntag hatte man einen beträchtlichen Teil davon für ein großes der Brigade Henry Reeve gewidmetes Abschiedsessen reserviert. 300 Gäste waren geladen, die Behörden der Stadt und der Region, Leitung und Angestellte des Krankenhauses, geheilte und bereits entlassene Patienten, Mitglieder von Freundschaftsorganisationen mit Kuba, die Brigademitglieder und die kubanischen Diplomaten. Es war dies das erste Mal, nach der Notsituation, dass so viele Menschen zusammenkamen. Unsere Epidemiologen halfen dabei, die Tische und die Regeln so aufzustellen, dass sichergestellt war, dass das Virus nicht zu einem weiteren Gast wurde. Die Brigadeteilnehmer und auch der kubanische Botschafter José Carlos Rodríguez kamen mit dem Fahrrad. Sie verließen das Krankenhaus und fuhren etwa 20 Minuten durch die Straßen Turins. Die an der Spitze hielten die Flaggen Kubas und Italiens. Alle trugen das neue T-Shirt der Brigade. Die Polizei machte den Weg für sie frei.
 
Jetzt habe ich die Aufgabe, alles zu beschreiben, was dann geschah. Kaum dass wir uns an den Tischen niedergelassen hatten (vier Personen pro großen Tisch, den Abstand einhaltend) wurde um eine Schweigeminute für die gebeten, die an COVID gestorben sind. Anschließend wurde gezeigt, wie man die Hände auf die richtige Weise mit einem hydroalkoholischen Gel wäscht. Dann konnte man das Video sehen, das einige speziell für diesen Anlass bearbeitete Szenen aus einem der Dokumentarfilme enthält, die über die Arbeit der Brigade gemacht wurden. Es stammt vom Road Television Italiens. Ich gehe kurz darauf ein.
 
In den 20 Minuten, die der Film dauert, erscheinen die Ärzte Miguel, René, Abel und Julio bei ihrer Arbeit und der Zuschauer hört sie nicht nur, sondern sieht auch, was sie tun. Wenn die Worte und die Tatsachen Substanz haben, wenn die Medizin aufhört Wissenschaft zu sein und sich einfach nur in Humanismus verwandelt: Die Kamera sucht und findet diesen Moment in einer Hand, die umarmt, in einer beschützenden Geste, in Beinen, die sich nur mit Mühe fortbewegen. Die Leiterin des Pflegepersonals im Krankenhaus fasst es in dem Dokumentarfilm folgendermaßen zusammen: „Die Kubaner haben uns gelehrt, dass man den Patienten zuhören muss, dass man sie berühren muss und dass sie besucht werden müssen“. Deswegen ist es anrührend, wenn eine alte Frau ihren Arzt, ihre Pfleger anschaut und sagt: „ Darf ich etwas sagen? Ich liebe euch alle“. Miguel erklärt seinen Standpunkt: „Kein Arzt kann ruhig zu Hause sitzen bleiben, wenn er weiß, dass Tausende von Menschen sterben. Kein Arzt kann so in Ruhe leben, ich wenigstens könnte das nicht“. Er sagt das ganz schlicht ohne sich in Pose zu setzen. Abel erklärt, dass als er Kind war, mitten in der Sonderperiode, die Kubaner eine große Spende mit Nahrungsmitteln aus Italien erhalten hätten. „Wir bekamen diese Hilfe von Menschen, die dich nicht gekannt haben und das hier war für mich die Gelegenheit, dem italienischen Volk zu sagen: Hier bin ich“. Ich erzähle das nicht einfach so. Ich weiß, dass die Musik, die Schnitte beim Zusammensetzen des Filmes die Emotionen stärker erscheinen lassen, aber in ihrem Wesen sind sie unabänderlich. Uns allen schnürt die Emotion die Kehle zu und treibt uns Tränen in die Augen. Aber an einem Tisch gegenüber dem meinen, sah ich, dass Julio, der gerechte und faire Chef, weinte. Und er war nicht der einzige.
 
Danach begleitete der Pianist Giovanni Casella, ein ehemaliger Patient, Ileana Jiménez auf dem Klavier. Hervorragende und gut aufeinander abgestimmte Interpretationen. Casella hatte nach seiner COVID Erkrankung Probleme mit seinen Händen, aber er bewies, dass er diese überwunden hat. Später sah man auf einer Leinwand die eindringlichen Fotos von Diana und Andrea, zwei professionellen Fotografen, die angestellt worden waren, um unseren Spuren zu folgen. Im Anschluss wurden Briefe von Patienten verlesen, die den kubanischen Ärzten gewidmet waren und Ausschnitte aus einigen meiner Chroniken ins Italienische übersetzt. Die Beschreibung des Geschehens darf nicht als Aufzählung verstanden werden. Jeder Moment drang in unser Innerstes, bewegte uns und es gab so viele solche Momente, dass man sie nicht alle umfassen kann.
 
Die kubanische Botschaft verlieh den Leitern des Krankenhauses und natürlich Michele Curto, der diese und alle Aktivitäten der Brigade organisierte und uns innerhalb und außerhalb der roten Zone begleitete, Diplome der Anerkennung. Irma Diolli und Rocco sprachen im Namen der Freundschaftgesellschaft. Italiener und Kubaner umarmten sich. Das Band der hundert Patienten, die geheilt entlassen worden waren, wurde in der Mitte durchgeschnitten. Ein Teil bleibt in Italien und der andere reist mit uns nach Kuba.
 
Gestern, als Präambel zum Abschied, machten wir zwei notwendige Ehrungen. Wir gingen zum Che Guevara Platz, dem ersten (dem einzigen?) in Europa und danach stiegen wir zum Fidel Castro Berg auf, der 1.600 Meter über dem Meeresspiegel liegt und somit die gleiche Höhe aufweist, wie die Kommandantur de la Plata in der Sierra Maestra. Der Weg aus Kopfsteinpflaster nach oben war hart und wir waren in keiner guten Kondition. Aber wir kamen an (und ich war nicht der letzte). Oben, neben dem Stück Holz von einem Caguairán Baum in dem der Namen unseres Comandante en Jefe eingraviert war, sangen wir die Nationalhymne. Wir sind seine Kinder.