An den 7. Kongress des Kubanischen Schriftsteller- und Künstlerverbands UNEAC
Bei euren Debatten kann ich nicht dabei sein. Aus meiner zur Tradition gewordenen Anwesenheit auf den Kongressen unserer Schriftsteller und Künstler ist mir die Besorgnis einiger Mitglieder der Organisation – vor allem die deine, Miguel – bekannt.
Trotzdem möchte ich als bescheidenen Beitrag zu diesem Treffen einige bedenkliche Punkte ansprechen, die ich im Kopf habe, der daran gewohnt ist, komplizierte Fragen zu erörtern, wenn auch nicht immer mit dieser Ruhe und der Zeit, über die ich im Augenblick gezwungenermaßen verfüge. Ich werde mich kurz fassen, zusammenfassen und mich auf sehr wenige Betrachtungen beschränken.
Der Mensch unserer Zeit ist nicht weniger egoistisch als der Grieche zu Platons Zeiten. Ganz im Gegenteil, jener von heute ist einer Sintflut von Werbung, Bildern und Beeinflussungen ausgesetzt, wie es vordem nie dagewesen war.
Die Formel, wonach ein jeder entsprechend seinen Fähigkeiten beisteuert und je nach seiner Leistung entlohnt wird, ist im Sozialismus nicht auszuschließen. Woher sollen nun die Mittel der Gesellschaft genommen werden, um allen – ob sie arbeiten oder nicht, ob sie Wirtschaftsgüter oder –leistungen produzieren oder nicht – um allen die Grundleistungen zum Leben bieten zu können?
Der Beitrag an die Gesellschaft darf nicht über einen Anteil hinausgehen und niemals auf gleicher Höhe mit dem liegen, was man zu kreieren fähig ist. Die Abgabe ist unverzichtbar und darf nicht nur schlicht ein Anteil sein. Aufgrund ihrer Tragweite kann sie zu einem gewissen Zeitpunkt sogar fast die Gesamtheit des Kreierten ausmachen.
In den nordischen und anderen europäischen Ländern hat die direkte Steuer Linksregierungen scheitern lassen. Es gibt nichts, das widerwärtiger wäre. Die Erfassung des Wertüberschusses der exportierten Leistungen, abgesehen von jenen Leistungen, die kostenfrei von Zehntausenden Landsleuten im internationalen Maßstab erbracht werden, ist nicht nur gerecht, sondern auch verständlicher als der direkte Einzug eines wachsenden Anteils des persönlichen Einkommens, den Menschen den Dolch auf die Brust setzend und Geld oder Leben fordernd.
Die eingeführten Stimuli nicht nur in Form von für Marktkäufe bestimmte Devisen, sondern auch über zahlreiche äußerst wirksame Formen von sozialem, menschlichen und familiären Inhalt sind keine zur Negation führende Anregungen zu Individualismus und Egoismus unter den unterschiedlichsten Masken, in einer Gesellschaft, wie wir sie zu schaffen beabsichtigen.
Ich habe mir die Vorträge von heute Vormittag angehört, mehrere von ihnen stilistisch und inhaltlich exzellent. Während ich diese Botschaft ins Reine schrieb, hab‘ ich sie alle gehört. Mit deinen Worte, Miguel, hast du den Korrupten einen wahren Degenstoß versetzt, die sich zur persönlichen Bereicherung ein ganzes Stück dieses Überschusses in die eigene Tasche stecken. Man muss sie „mit der Wucht einer Sklavenhand auf ihrer Schmach“ schlagen, wie den Tyrannen. Ich entnehme diese Worte einem der Einfachen Verse von José Martí.
Ich frage mich: Können die Methoden, mit denen ein Kaufladen geführt wird, das für die Schaffung einer besseren Welt erforderliche Bewusstsein erzeugen?
Gäbe es keinen seit fast hundert Jahren bereits vorausgesehenen entwickelten und globalisierten Kapitalismus, dann hätte es keinen Sinn, von revolutionärem Bewusstsein zu reden.
Das Bewusstsein des Menschen schafft nicht die objektiven Bedingungen. Das Umgekehrte ist der Fall. Nur dann kann von Revolution die Rede sein.
Die schönen Worte, zwar erforderlich als Träger der Ideen, sind jedoch nicht ausreichend. Tiefgründiges Nachdenken macht sich erforderlich.
In einem Artikel der ausländischen Presse wurden vor zwei Tagen die dreißig genialen Erfindungen genannt, die die Welt veränderten: Compactdisc, GPS und DVD, Mobiltelefon, Fax, Internet, Mikrowelle, Facebook, Digitalkamera, E-Mail etc., etc., etc.
Der Dollarbetrag, den der Verkauf eines jeden dieser Produkte bedeutet – und zum Teil bereits bedeutet hat – akkumuliert in der Hand der Multis so viele Nullen, wie man sich nicht vorstellen kann. Schlimmer noch: Jedes dieser Produkte wird von einer noch effizienteren Erfindung abgelöst werden und es wird nicht einmal mehr geheim bleiben können, worüber ein Pärchen auf einer Parkbank spricht.
Hat diese Art Existenz, die der Imperialismus verheißt, irgendeinen Sinn? Wer sind es, die das Leben der Menschen beherrschen? Können etwa mit den noch unbekannten Wirkungen so vieler elektronischer Wellen, für die weder der Körper noch der Geist des Menschen sich entwickelten, die Gesundheit von Körper und Geist gewährleistet werden?
Ein Kongress der UNEAC darf diese heiklen Themen nicht unbehandelt lassen. Viele werden sagen, es sei Fatalismus. Darauf meine Antwort: Nein, Fatalismus wäre ein Nicht-Ansprechen des Problems. Ich würde euch nicht einmal mit diesen Zeilen belästigen.
Das Klima ist infolge des verantwortungslosen Vorgehens des Menschen einem Wandel ausgesetzt. Das Gleichgewicht ist nicht mehr vorhanden. Wie man es wiedergewinnen kann, das ist das große zu lösende Problem.
Ich habe hier nur einen Teil der Fragen aufgeworfen, die mir beim Betrachten der Realitäten der Welt in den Sinn kamen.
Ich genieße es, wenn ich die Fortschritte unseres Volkes in den diversen Bereichen sehe; Fortschritte, die andere Gesellschaften, obwohl frei von grausamen Blockaden und tödlichen Bedrohungen, nicht erzielen konnten und die sich sogar auf den Kampf für die Erhaltung der Umwelt erstrecken.
Das schürt den Hass unserer Gegner. Ich habe Artikel renommierter Organe der kapitalistischen Presse gelesen, in denen sie wie eine Meute Jagdhunde über uns herfallen. Sie reden über unser Land, als seien wir ein bedürftiges am Punkt Null stehendes Volk und nicht eines mit einem Mindestbildungsstand, der von den hoch entwickelten Ländern nicht erreicht wird; mit exzellenten Kennziffern im Gesundheitswesen und mit vielleicht zu hohen Werten im Bereich der sozialen Sicherheit, wie es mir vorkam, als ein Kongressdelegierter mit gutem Recht über jene sprach, die bestimmte soziale Güter grob misshandeln, und als er aufrief, gegen Gewohnheiten vorzugehen, die von unserer Gesellschaft verworfen werden.
Der Gegner begeht ernste Fehler und erweist sich in seiner Schlacht gegen die objektive Wahrheit als undenkbar plump. Erst vor kurzem haben US-Unternehmen, die für Serviceleistungen vertraglich gebunden waren, aus Anordnung der US-Regierung Hunderttausenden schwedischen Bürgern, den Zugriff zum Webplatz Rebelión verweigert, der Meldungen über Kuba bringt. Der Zugriff wird ihnen schlicht und willkürlich getrennt. Sie sind unfähig zu begreifen, dass das Interesse an Rebelión sich vervielfacht und die Schlacht der Ideen zwischen Kuba und dem Imperium sich ausweitet.
Entschuldigt, liebe Genossen, wenn ich mich zu weit gefasst habe.
Ich beobachte das Imperium und seine verhängnisvollen Pläne.
Auf der Basis unserer gesunden, patriotischen und internationalistischen Bemühungen bei den manuellen und intellektuellen Aufgaben, die wir Tag für Tag realisieren, wage ich zu sagen: „Alles, was die Revolution im ethischen Sinne stärkt, ist gut; was sie schwächt, ist schlecht.“
Allen eine feste Umarmung.
Fidel Castro Ruz
1. April 2008
18.44 Uhr